„Das Universum kennt keine Zufälle – nur Wahrscheinlichkeiten!“ (D.G.)
Ein Pfullinger Stadtrat hatte dem frisch gewählten Bürgermeister Schrenk einst sinngemäß anempfohlen, bei Töpfen, aus denen es stinkt, schnell wieder den Deckei zu schließen …
Ich hoffe, dass die Pfullinger Bürger es lieber sähen, wenn Gemeinderat und Bürgermeister für ihre Rechte einstehen. Darum habe ich Auffälligkeiten bei der Bestimmung des Wahltermins öffentlich gemacht. Die Sache mit dem verschobenen Wahltermin zieht jetzt Kreise. Auch der GEA recherchiert – mal sehen, wie weit investigativer Journalsmus vordringt. Denn es wird versucht, die Sache zu bagatellisieren und unzutreffende Argumente zur nachträglichen Rechtfertigung angeführt. Ein und derselbe Tatbestand (s. u.) wird wahlweise einmal so, einmal so gedeutet. Das ist so, als würde man auf Justitias Waage dasselbe Gewicht (Argument) in der gleichen Sache einmal auf der Pro-Schale auflegen und dann wieder auf der Contra-Seite – wie man es gerade braucht!
Und was ist das für eine Rechtsauffassung, was für ein Rechtsstaat, wenn ein Gemeinderat bestimmen darf, welche Rechtsnormen er beachten muss und welche nicht? Und was ist das für eine Rechtsaufsicht, die da nicht eingreift? Hat da jemand den Durchblick verloren?
Hat ein Mitbewerber Recht mit seiner These, dass Pfullingen „nicht mehr Verwaltung“ brauche? – Ich habe lange überlegt, ob ich die Sache publik machen soll. Nicht, um einen unliebsamen Mitbewerber loszuwerden. Ihm werfe ich hier nichts vor – er hat nur bewiesen, dass er in der Lage ist, Chancen zu nutzen. Mir geht es um das Recht, dass unsere Demokratie schützt: Hätte sich ein Kandidat gemeldet, der durch die Terminverschiebung die Altersgrenze am Wahltag überschreitet, dann könnte er formaljuristisch nicht mehr an dieser teilnehmen – obwohl ihm dieses Recht an einem Wahltermin gemäß § 47 GemO zugestanden hätte.
Wer hier kein Versagen derer erkennt, die für die Einhaltung von Gesetzen verantwortlich sind, der ist stichhaltigen Argumenten schlechterdings nicht zugänglich – dann ist der Willkür Tür und Tor geöffnet. Es folgt der bisherige Schriftverkehr, in chronologisch richtiger Reihenfolge.
Datum: 16.03.2021 13:07
Von: „Detlev Gottaut“
An: „[MAin Stadt Pfullingen]“, landrat@kreis-reutlingen.de
Kopie: info@pfullingen.de, „redaktion gea“ <redaktion@gea.de>, kommunalamt@kreis-reutlingen.de
Betreff: Bürgermeisterwahlen in Pfullingen / hier: Anfrage zum Wahlrecht (GemO §§ 46, 47)
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich habe rechtliche Fragen zur Pfullinger Bürgermeisterwahl am 25. April. Vorausschicken möchte ich, dass Bürgermeister Schrenk mit Wirkung zum 31. Dezember 2020 in den Ruhestand versetzt wurde – nicht zum 11. Januar 2021, wie mancherorts fälschlich behauptet wird. Das Gesetz, der § 47 der Gemeindeordnung Baden-Württembergs, sagt zur Anberaumung von Wahlen:
„(1) Wird die Wahl des Bürgermeisters wegen […] Eintritts in den Ruhestand […] notwendig, ist sie […] spätestens drei Monate nach Freiwerden der Stelle durchzuführen.“
Nach meiner Einschätzung wäre Ultimo der 31. März oder früher, z. B. Sonntag, der 28. März. Im Gesetz steht nichts von Ausnahmetatbeständen oder der Möglichkeit einer freizügigen Regelung durch den Landrat oder Gemeinderat. Die Coronakrise ist kein schlüssiges Argument, schließlich wurden die Landtagswahlen auch nicht verlegt – was erwiesener Maßen auch nicht nötig war. Eine Wahl zum vorgeschriebenen Termin wären m. E. möglich und gesetzlich geboten.
Die willkürliche Verlegung gesetzlich vorgeschriebener Wahltermine hat gravierende Rechtsfolgen:
Die Frist für Kandidat:innenmeldungen wird unzulässig ausgedehnt. Kandidat:innen könnten einerseits die Altersgrenzen hinsichtlich der Wählbarkeit gem. § 46 GemO über- oder unterschreiten. Dies stellt einen unzulässigen Eingriff in das aktive und passive Wahlrecht dar!
Meine telefonischen Nachfragen bei Stadt und Landratsamt ergaben, dass der Landrat aus drei für geeignet befundenen Terminen dem Pfullinger Gemeinderat einen zur Abstimmung vorgeschlagen habe. Dieser hat am 9. Februar über den vorgeschlagenen Termin abgestimmt. Mich interessiert, wie der genaue Ablauf der Terminfindung war.
Meine Fragen:
Wer hat die dem Landrat vorgelegten Wahltermine bestimmt?
Welche Termine wurde dem Landrat vorgeschlagen?
Warum hat der Landrat dem Gemeinderat keinen dem § 47 GemO entsprechenden Termin vorgeschlagen?
Wie ist die Rechtslage hinsichtlich des passiven Wahlrechts von Kandidaten, bei denen zum Zeitpunkt des im Gesetz als Ultimo festgelegtenWahltermins keine Wählbarkeit bestand?
Welche Rechtsmittel bestehen hinsichtlich des Wahltermins und den damit verbundenen, oben geschilderten Konsequenzen?
Mit der Bitte um zeitnahe Antwort zur Sach – und Rechtslage und
mit freundlichen Grüßen
Detlev Gottaut
Am 17.03.2021 um 16:35 schrieb [MAin]@Kreis-Reutlingen.de:
Sehr geehrter Herr Gottaut,
für Ihre Email vom 16.03.2021 danke ich Ihnen. Herr Landrat Reumann hat mich gebeten, Ihnen zu antworten.
Die Versetzung von Herrn Bürgermeister Schrenk in den Ruhestand erfolgte – wie von Ihnen ausgeführt – mit Wirkung zum 31. Dezember 2020. Allerdings ist hierfür eine Versetzungsverfügung nach § 45 Landesbeamtengesetz (LBG) notwendig, die ihre Rechtskraft erst mit Ablauf des 11. Januar 2021 erreicht hat.
Das Freiwerden der Stelle nach § 47 GemO steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Rechtskraft der Versetzungsverfügung. Bis zu diesem Zeitpunkt hätte für Herrn Schrenk die Möglichkeit bestanden, Rechtsmittel einzulegen. Die in § 47 Abs. 1 GemO genannte Dreimonatsfrist endet damit erst am 11. April 2021.
Zu Ihren Fragen:
Der Wahltermin wurde von der Stadtverwaltung Pfullingen ausgewählt. Der Rechtsaufsichtsbehörde wurde der 25.04.2021 vorgeschlagen; der Termin wurde mit Herrn Landrat Reumann abgestimmt. Dem vorgeschlagenen Wahltermin wurde im Hinblick auf die Corona-Pandemie (Kandidatensuche und eingeschränkte Möglichkeiten im Wahlkampf), die zeitliche Nähe zur Landtagswahl und die Osterferien zugestimmt, auch wenn der gewählte Termin 14 Tage über die 3-Monats-Frist hinausgeht. Die Rechtsaufsichtsbehörde kann die Verlängerung im Einzelfall tolerieren, wenn die Frist begründet verlängert wird.
Die Zuständigkeit für die Festsetzung des Wahltages liegt gemäß § 2 Abs. 2 Kommunalwahlgesetz (KomWG) beim Gemeinderat. Es handelt sich um eine Selbstverwaltungsangelegenheit der Gemeinde.
46 Abs. 1 GemO nennt die Wählbarkeitsgründe am Wahltag, d.h. die Voraussetzungen müssen am vom Gemeinderat festgesetzten Wahltag erfüllt sein.
Der Gemeinderatsbeschluss über die Festlegung des Wahltages auf einen späteren Tag als nach § 47 Abs. 1 Satz 1, 2. Alternative GemO vorgesehen, kann von der Rechtsaufsichtsbehörde beanstandet werden. Die Rechtsaufsichtsbehörde kann eine neue Festsetzung verlangen, falls dies zeitlich noch möglich ist. Die Beanstandung der Beschlussfassung vom 09.02.2021 hätte zeitlich keinen früheren Wahltag erwirkt, da gemäß § 47 Abs. 2 GemO die Stelle 2 Monate vor dem Wahltag öffentlich auszuschreiben ist.
47 GemO zählt zu den wesentliche Vorschriften über die Wahlvorbereitung im Sinne des § 32 Abs. 1 Nr. 2 Kommunalwahlgesetz (KomWG). Wird die Wahlverspätet durchgeführt, kommt eine Ungültigkeitserklärung nicht mehr in Betracht, weil die Festsetzung eines den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Wahltages nicht mehr möglich ist. In diesem Fall kann lediglich daraufhingewiesen werden, dass die Festlegung des Wahlterminsnicht den gesetzlichen Bestimmungen entsprach.
Für Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Freundliche Grüße
[MAin Landratsamt]
Leitung Amt für Kommunalaufsicht und Rechnungsprüfung
Landratsamt Reutlingen – Amt für Kommunalaufsicht und Rechnungsprüfung
Schulstraße 26 – 72764 Reutlingen
Telefon: +49 7121 480-1020, Fax: +49 7121 480-1832
Am 18.03.2021 um 00:00 schrieb Detlev Gottaut:
Sehr geehrte Frau [MAin Landratsamt],
ich verstehe das Dilemma, in dem sich der Landrat Reumann befindet. Fast immer, wenn Gesetze ausgelegt werden, gibt es unterschiedliche Deutungen. In solchen Fällen helfen unwiderlegbare Indizien weiter.
Sie führen als Argument für den 11.1. das LBG an. Wenn Ihre Rechtsauffassung greifen würde, hätte das folgende Auswirkungen gehabt:
Herr Schrenk wäre bis zum 10.1. Bürgermeister der Stadt Pfullingen mit allen Befugnissen gewesen.
Herr Schrenk hätte – was nicht der Fall ist – bis zum 10.1. seine vollen Beamtenbezüge erhalten und erst ab dem 11.1.2021 Pension. Tatsächlich erhält er das Ruhegehalt seit dem 1.1.2021.
Da für ein und denselben Tatbestand nur eine einzige Rechtsauslegung zulässig ist – die einschlägige Interpretation des LBV ist in diesem Punkt wohl unwiderlegbar – , muss ein Freiwerden der Stelle zum 01.01.2021 bejaht werden. Möglich wäre vielleicht (mit einem ganz großen ?) noch die Annahme einer schwebenden Unwirksamkeit – aber auch die würde mit Ablauf des 10.1. geheilt und in der Konsequenz wieder für den 1.1.2021 sprechen!
Wie Sie sehen, Frau [MAin], ist Ihre Beweisführung nicht schlüssig. Es bleibt die einzig logische Schlussfolgerung: Herr Schrenk ist mit Ablauf des 31.12.2020 nicht mehr, und Pfullingen seither ohne Bürgermeister. Die Stelle ist darum seit dem 1. Januar 2021 vakant.
Zum Thema Rechtsaufsicht: dazu gehört, dass man diese ausübt und nicht nur auf die Gestaltungsfreiheit des Gemeinderats verweist. Denn dessen Freizügigkeit endet dort, wo er sich außerhalb des Spielraums einschlägiger Paragrafen bewegt. Ihre Aufsicht erfolgt zu oberflächlich, wenn sie lediglich bedauernd darauf hinweisen
dass die Festlegung des Wahltermins nicht den gesetzlichen Bestimmungen entsprach.
Wenn dem so ist, dann hat nicht nur der Pfullinger Gemeinderat, sondern auch die kommunale Aufsicht versagt. Ich habe den Vorgang wegen der zeitlichen Enge inzwischen an die zuständigen Stellen des Innenministeriums und des Regierungspräsidiums Tübingen geleitet. Diese erhalten diesen Schriftverkehr in Cc.
Was mich an der Handhabung der Vorgänge besonders stört, ist die Sorglosigkeit im Umgang mit übertragenen Verantwortungen. Mitnichten war der Gemeinderat, respektive der stellvertretende Bürgermeister Fink, vom Bekanntwerden der Amtsenthebung am 11.1.2021 überrascht worden. Ein kurzer Abriss der Chronologie hilft weiter:
Der Landrat erhielt schon früh ein Schreiben der Gemeinderäte, in dem er aufgefordert wurde, Herrn Schrenk in den Ruhestand zu versetzen. Am 9.11.2020 informierte Landrat Reumann Herrn Schrenk über seine Absicht, ihn in den Ruhestand zu versetzen. Dieser wiederum setzte umgehend eine Meldung an die Stadtverwaltung ab.
Am 9.12., nach der amtsärztlichen Untersuchung informierte der Landrat Herrn Schrenk, dass er diesen nunmehr zum 31.12.2020 in den Ruhestand versetzen werde. Wiederum informierte Herr Schrenk unverzüglich die Stadtverwaltung. Der Landrat erwog zu diesem Zeitpunkt wohl auch die Einholung einer Rechtsmittelverzichtserklärung bei Herrn Schrenk, sah davon aber aus nicht bekannten Gründen ab – obwohl Herr Schrenk damit durchaus einverstanden gewesen wäre. Der Hickhack um Fristen wäre vermeidbar gewesen.
Man darf mit Fug und Recht annehmen, dass die Gemeinderäte nicht von der Notwendigkeit unmittelbar bevorstehender Bürgermeisterwahlen überrascht worden sind – schon gar nicht erfuhren sie dies erst anlässlich der Pressekonferenz am 11.1.
Auch aus diesem Grund hätten sämtliche vorgebrachten Einwände gegen eine Durchführung innerhalb der gesetzlichen Fristen als vorgeschoben zurückgewiesen werden müssen. Argumente wie Ostern, Cornona sind keine pauschal gültigen Kriterien für die Nichtbeachtung gesetzlicher Vorgaben. Hier ist eher der Wunsch der Vater des Gedanken gewesen als eine rechtfertigende höhere Gewalt durch eine pandemische Lage. Zumindest hatte diese keinen Einfluss auf die Landtagswahl.
Die Aufsicht darüber, ob der Gemeinderat seine Freizügigkeit in unzulässiger Weise ausdehnt, wäre Aufgaben des Landrats und der Kommunalaufsicht gewesen. Und entgegen der vertretenen Meinung, dass die Behörde diesbezüglich Spielraum habe, muss wegen fehlender Angaben diesbezüglicher Verweisstellen ein solcher verneint werden – er ist rechtlich nicht begründet. Der Landrat hat in diesem Punkt keinen Ermessensspielraum, zumindest ist keiner belegt.
Gerade das Argument der Überschneidung mit der Landtagswahl ist nicht schlüssig. Weil spätestens seit dem 9.12. Neuwahlen absehbar waren, hätte der Zeitpunkt für Planungen einer gemeinsamen BM- und Landtagswahl kaum idealer sein können. Mit einer Verzichtserklärung und einer zeitnahen Sitzung des Gemeinderats hätte die Wahlen ohne Probleme zeitgleich durchgeführt werden können. Aber auch eine Wahl zu 28. März wäre ohne Schwierigkeiten möglich gewesen. Der Gemeinderat hat zu früheren Zeitpunkten bewiesen, dass er schnell und unproblematisch Sitzungen anberaumen konnte, wenn ihm eine Sache wichtig war.
Abschließend möchte ich als Unternehmer betonen: Wer für die Aufsicht verantwortlich ist, haftet für offensichtliche Verstöße. Das gilt gleichermaßen im öffentlichen Recht.
Mit freundlichen Grüßen
Detlev Gottaut
Sehr geehrter Herr Gottaut,